Archivierter Inhalt

Peru für alle: Gratwanderung für den neuen linken Präsidenten

Präsident Ollanta Humala ruft die Kampagne "Jugend ans Werk" aus, Region Junín, September 2011. Foto: Presidencia Perú, Original: flickr, Lizenz: CC BY-NC-SA 2.0

12. Oktober 2011
Gerhard Dilger
Mit Ollanta Humala regiert nun auch in Peru ein Vertreter von Südamerikas neuer Linken. Er wolle dabei helfen, "ein Peru für alle" aufzubauen, vor allem für die Ärmsten, sagte der 48-jährige Präsident Ende Juli in seiner Antrittsrede. Peru werde eine Politik der "souveränen Nutzung der natürlichen Ressourcen" entwickeln, Wasser, Land, Wälder, Artenvielfalt, Erdgas und Mineralien sollten "rational und ausgewogen" ausgebeutet werden, "in Respekt für die Bevölkerung, die Arbeiter und die Umwelt".

Dass der schillernde Ex-Militär mit indigenen Wurzeln vor allem das Los der Armen verbessern will, denen er in erster Linie seinen Sieg in der Stichwahl im Juni zu verdanken hat, darf man ihm getrost abnehmen. Ähnlich wie seine linken AmtskollegInnen in Südamerika ist er dabei, eine pragmatische, "neoextraktivistische" Wirtschaftspolitik umzusetzen.

Seit Ende September steht fest: Der Staatsanteil an den Erlösen aus der Erdölförderung und dem Bergbau wird  um jährlich umgerechnet rund 500 Millionen Euro erhöht. Es sind deutlich weniger als die ursprünglich angekündigten 800 Millionen, denn zusätzlich besteuert werden nun doch nicht die Verkäufe, sondern die leicht zu manipulierenden Gewinne  – ein erster Sieg der Multis.

Mit diesen zusätzlichen Einnahmen werden Sozialprogramme für die Armen aufgestockt, ganz ähnlich wie in sämtlichen "progressiv" regierten Ländern der Region. Ollanta Humala begreift sich als Teil dieser heterogenen Linken. Bereits seinen Sieg verdankte er der Strategie, dass er – anders als 2006 und ähnlich wie der Brasilianer Lula da Silva 2002  – nicht auf Polarisierung setzte, sondern auf eine behutsame Politik der kleinen Schritte.

Im Mai gelobte er feierlich, keine Verfassungsreform anzustreben, die ihm den Weg zu einer Wiederwahl ebnen könnte. Auch darin folgt er Lula und setzt sich von Hugo Chávez in Venezuela, Evo Morales in Bolivien oder Rafael Correa in Ecuador ab. Mit der Nominierung des Unternehmers Salomón Lerner Ghitis zu seinem Premierminister beruhigte er einheimische und ausländische Investoren gleichermaßen. Im Parlament muss seine Fraktion mit der Partei des liberalen Altpräsidenten Alejandro Toledo (2001-2006) paktieren, die auch vier Minister in Humalas Kabinett stellt.

Die größte Herausforderung für Humala kommt jedoch von der eigenen Basis. In der Region Puno etwa, wo er in der Stichwahl mit 78 Prozent siegte, gab es gegen Ende der Amtszeit seines Vorgängers Alan García monatelange Proteste gegen Bergbau- und Staudammprojekte. An gut 200 Orten im ganzen Land wehren sich die Menschen gegen ähnliche Großprojekte, die zwar das Wirtschaftswachstum ankurbeln könnten, aber auch vielfach die Umwelt verwüsten und damit die Lebensgrundlage der Bevölkerung zerstören. In vielen Fällen profitieren davon brasilianische Konzerne, die Verkehrswege an den Pazifik bauen, peruanische Mineralien fördern oder Wasserkraft für Brasilien produzieren wollen.

Gutes Leben?

Das Gute Leben, der ökosoziale, postkapitalistische Gegenentwurf zum Neoextraktivismus, ist in den neuen Verfassungen Ecuadors und Boliviens aus dem Jahre 2008 verankert. Mittlerweile spitzen sich auch die dort die Konflikte um geplante Großprojekte zu, parallel dazu setzen Indígenas und linke Intellektuelle die Debatte intensiver fort denn je. In anderen Ländern, darunter Peru, ist das erst vereinzelt der Fall.

Magdiel Carrión, der Vorsitzende von Conacami, der Peruanischen Konföderation von durch den Bergbau betroffenen Gemeinschaften, verwendet den Ausdruck in typischer Manier für "Initiativen für nachhaltige Lebens- und Entwicklungsmodelle, die aus der Perspektive der Gemeinschaften errichtet werden". In Südperu bestehe eine "gemeinsame Agenda, um das Leben, den Landbau, den Fischfang, die Lebensmittelproduktion, die natürlichen Ressourcen, das Wasser und die Anerkennung der Rechte der Völker zu verteidigen", meint Carrión und fordert von der Regierung Humala Mitbestimmung: "Wir wollen konsultiert werden, wir wollen teilnehmen, wir wollen das 'Gute Leben' mit einer echten sozialen Inklusion".

In dieser Frage ist Ollanta Humala seiner Basis einen wichtigen Schritt entgegengekommen: Am 6. September unterzeichnete er in der Amazonasregion Bagua das jahrelang verschleppte "Gesetz über die vorherige Konsultation" indigener Völker bei Großprojekten. Aber das Gesetz, das auf der ILO-Konvention 169 zum Schutz der indigenen Völker basiert, soll erst bis zum Jahresende reglementiert werden. Und wie viele Projekte tatsächlich dadurch verhindert werden, bleibt abzuwarten.

"Das größte Problem ist: Die Ablehnung der Betroffenen hat keinen verpflichtenden Charakter", sagt Roberto Espinoza, Berater der Indígenaorganisation Aidesep, "die sozialen Konflikte können jederzeit wieder ausbrechen". Als Fortschritt bezeichnet der Aktivist die Tatsache, dass nun einige Experten, die den indigenen Bewegungen nahestehen, Regierungsposten bekleiden. Doch der Staatsapparat sei träge und korruptionsanfällig, beklagt er.

In der Urwaldregion Madre de Dios, nahe der Grenze zu Brasilien, geht der informelle, sozial und ökologisch desaströse Goldbergbau wie eh und je weiter, hat der Journalist Ulrich Achermann vor kurzem erlebt   – bevorzugter Zielort des Goldes ist die Schweiz. "Soziale Marktwirtschaft statt Sozialismus", stellt das Manager-Magazin zufrieden fest: Ollanta Humala habe "Wirtschaft, Finanzmärkte und selbst Standard & Poors überzeugt. Für deutsche Unternehmen bahnt sich in Peru das zweite Rekordjahr in Folge an."

Die Spielräume des Präsidenten sind eng. Er bemüht sich um Fortschritte für die Armen, immerhin noch rund zehn der 30 Millionen PeruanerInnen. Beobachter bescheinigen ihm auch eine gewisse Sensibilität für Umweltfragen. Im Vergleich zu Alan García, der so weit ging, die Existenz der peruanischen Urvölker zu leugnen, ist das ein beträchtlicher Fortschritt. Doch bis zu einer ökosozialen Wende ist der Weg noch weit.

Gerhard Dilger, freier Journalist, lebt zurzeit in Porto Alegre, Brasilien. Er schreibt vor allem zu den Themen Politik, Wirtschaft und Kultur in Lateinamerika. Seine Schwerpunkte sind Menschenrechte, Umwelt, Weltsozialforum.